Eine Regierungsbildung in drängenden Zeiten und die politische Kommunikation von Unternehmen
Die konservative Union aus CDU und CSU hat die vorgezogene Bundestagswahl mit Abstand gewonnen. Als einziger realer Koalitionspartner kommen nur die Sozialdemokraten in Frage. Und dennoch sind die Ergebnisse weitaus komplexer.
Die nackten Zahlen
Laut dem vorläufigen Wahlergebnis kommen CDU und CSU auf 28,6 Prozent. Die rechtspopulistische AfD hat ihren Stimmenanteil mit 20,8 Prozent im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl verdoppelt. Für die SPD sind die 16,4 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl und Bündnis 90/ Die Grünen haben mit 11,6 Prozent nur leicht verloren. Sicher im Bundestag vertreten ist auch die Partei Die Linke mit 8,8 Prozent der Stimmen sowie durch eine Sonderregel die Partei der dänischen Minderheit SSW mit einem Sitz.
Die FDP sowie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sind beide an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Dieses Ausscheiden aus dem Bundestag, ermöglicht es der CDU/CSU nun aufgrund der prozentualen Verteilung eine Regierung mit nur einem Koalitionspartner zu bilden.
Welche Entwicklungen stehen hinter den Zahlen?
Die Wahlbeteiligung war so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung: 82,5 Prozent der Wahlberechtigten haben abgestimmt. So demokratisch, so gut. Anders als nach einer der letzten Abstimmungen des alten Bundestages zur Migrationspolitik im Februar vermuten ließ, haben von dieser Wählermobilisierung aber vor allem die AfD und die CDU profitiert. Der kollektive laute Aufschrei, der folgte, nachdem die CDU die Stimmen der rechtspopulistischen AfD mit voller Gewissheit in Kauf genommen hatte, und der hunderttausende Menschen zu Demonstrationen gegen rechts bewegte, hat sich so nicht an den Wahlurnen niedergeschlagen.
Zudem haben viele Menschen dieses Mal anders gewählt. Auch davon hat vor allem die Union profitiert: Sie konnte viele Wählerstimmen der bislang regierenden Koalitionäre aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP auf sich vereinen.
Darüber hinaus ist eine wichtige Erkenntnis, dass vor allem junge Wähler:innen zwischen 18 und 24 Jahren die Linke gewählt haben. Dicht gefolgt in dieser Altersgruppe hat sich jedoch die AfD bei den Wählenden durchgesetzt. Stärkste Partei wurde sie sogar bei den 30- bis 44-Jährigen und bei den bis 59-Jährigen wurde sie zweitmeist gewählte Partei. Außer bei den Senior:innen hat die AfD in fast allen Altersgruppen eine starke Wählerschaft und vor allem bei Männern dazugewonnen.
Regierungsbildung zwischen harten geopolitischen Realitäten und inneren Notwendigkeiten
Die nächste Bundesregierung dürfte von Friedrich Merz als Kanzler der Union angeführt werden. Als einzig realistischer Koalitionspartner steht die SPD zur Verfügung. Ein schwarz-grünes Bündnis hätte keine Mehrheit, eine Koalition mit der AfD hat die Union ausgeschlossen.
Die CDU hat betont, dass aus ihrer Sicht die wichtigsten Themen für die nächsten vier Jahre die Wirtschaftspolitik, die Außen- und Sicherheitspolitik, die Migrationspolitik sowie die Sozialpolitik und Rente sind. Mit der SPD gibt es Schnittmengen in diesen Bereichen, aber gerade bei der Sozialpolitik dürften es schwierige Koalitionsgespräche werde. Demgegenüber scheint es bei der Schuldenbremse – eines der Dauerstreitthemen der abgewählten Ampelkoalition – Bewegung und Möglichkeiten zum Kompromiss zu geben. Eine Anpassung der Schuldenbremse zugunsten von mehr Investitionen für die Wirtschaft hatte zuletzt auch der Sachverständigenrat Wirtschaft, die sogenannten Wirtschaftsweisen, gefordert. Ein Apell, der bei der CDU sicher nicht ungehört geblieben ist.
Bei der Sozialpolitik dürfte es da schon schwieriger werden, die Konservativen und Sozialdemokraten zusammenzubringen. Dabei ist das Bürgergeld nur ein Stichwort. Aus gesellschaftlicher Sicht müssen die Themen Rente, Sozialversicherungssysteme und Pflege schnell und dezidiert in Angriff genommen werden. Auch die Gesundheitspolitik ist zwar mit vielen Ansätzen gestartet, aber letztlich doch während der letzten Regierung steckengeblieben. Ebenso ist das Thema Digitalisierung ein Dauerthema, bei dem man sich einen Durchbruch wünscht, aber vielleicht nicht zu erhoffen wagt.
Denn die Regierungsbildung geschieht auch vor dem Hintergrund der anhaltenden geopolitischen Spannungen und Krisen, vor allem aber vor dem Hintergrund einer neuen transatlantischen Realität, denen sich Deutschland und die Europäische Union gegenübersehen. Die Debatte um die schwindende Bedeutung Europas als Wirtschaftsmacht und geopolitischer Akteur ist nicht neu und wurde bereits während der letzten Dekade wiederholt analysiert und beschworen. Jetzt hat sie sich mit einer solchen Wucht und Deutlichkeit nach den US-amerikanischen Wahlen und der Amtseinführung Donald Trumps als Präsident materialisiert, dass Deutschland sich nicht in einem Machtvakuum durch eine lange Regierungsbildung verlieren darf. CDU und SPD müssen sich zusammenraufen, wenn wir österreichischen Verhältnisse vermeiden und die Europäische Union entschlossen Position beziehen und handeln lassen wollen. Derweil ist Macron schon einmal zu einem Gespräch nach Washington geflogen, um mit dem neuen US-Präsidenten über dessen Ukraine-Politik zu sprechen.
Die Zeit drängt
Der Bundestag muss sich verfassungsgemäß spätestens am 25. März konstituieren. Koalitionsverhandlungen für die Regierung dauern üblicherweise weitaus länger, mitunter ein halbes Jahr. Bis dahin bleibt die alte Bundesregierung geschäftsführend im Amt. Diese Zeit können sich die Parteien allerdings nicht nehmen. Zu dringlich und bedrohlich sind die politischen Entwicklungen. Friedrich Merz hat daher bereits angekündigt, schnell Gespräche führen und folgend in Verhandlungen eintreten zu wollen. Ostern hat er als ambitioniertes Ziel für die Bildung einer neuen Regierung angekündigt. Das sind sehr kurze acht Wochen.
Die Ausrichtung der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik, der Krieg in der Ukraine und nicht zuletzt der im Juni anstehenden NATO-Gipfel und das Treffen der G7 Staaten, braucht eine klare europäische Haltung und Handlungsfähigkeit.
Was heißt das Ergebnis der Bundestagwahl für die politische Kommunikation von Unternehmen?
Die Union stellt den Kanzler, die FDP ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Die Linke erlebt mit dem Fokus auf sozialpolitische Themen einen Aufschwung vor allem bei den jungen Wählerinnen. Vertraute politische Größen verlassen nach der Wahl die politische Arena – Kanzler Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner haben dies in verschiedenem Umfang bereits angekündigt. Der Bundestag wird neu besetzt und die AfD übernimmt die Führung der Opposition. Was bedeutet diese politische Konstellation für Unternehmen?
Zunächst einmal bedeutet es, dass Unternehmen ihre politischen Anliegen überdenken und anpassen müssen sowie das eigene politisches Netzwerk zu justieren. In der Kürze des Wahlkampfes ist zudem deutlich geworden, dass Kommunikation eine zentrale Rolle gespielt hat. Und zwar nicht die Kommunikation der Wahlplakate, Wahlprogramme und die Phrasen der politischen Blase.
Bei den Bürgerinnen und Bürger verfangen hat auf besondere Weise die Kommunikation der AfD und der Partei Die Linke, die sich beide einer sehr klaren und direkten Sprache bedient haben. Die AfD hat diese auf den sozialen und psychologischen Ängsten und Unsicherheiten in breiten Teilen bestimmter Bevölkerungsgruppen aufgesetzt. Sie hat zudem stark von ihrer Präsenz in den Sozialen Medien profitiert. Die Verbreitungsgeschwindigkeit und die Mechanismen der Sozialen Medien habe auch der Linken zu einem Dreh aus dem Umfragetief und dem Wiedereinzug in den Bundestag verholfen. Aber auch hier waren es nicht die Kanäle allein, sondern vor allem die klare Ansprache besonders der Spitzenkandidatin Hedi Reichinnek und eine klare Positionierung und Fokussierung auf Kernthemen.
Gerade durch die besondere Rolle der Sozialen Medien müssen sich Unternehmen die Frage stellen, welche Bedeutung und letztlich „Macht“ sie diesen Kommunikationswegen verleihen wollen. Die politische Einflussnahme Elon Musks und seiner Plattform X sowie der durchaus berechtigten Kritik an TikTok gilt es einzubeziehen. Sehr tiefe Einblicke in die Wirkungsmechanismen der Social-Media-Debatten, deren Nukleus und die folgende Verbreitung von Narrativen liefern AI gestützte Analysen etwa mit Hilfe von Blackbird.ai.
Nicht zuletzt stellt sich aber noch eine weitere Frage für die Positionierung von Unternehmen: Inwiefern können sich Unternehmen auf die Position der parteipolitischen Neutralität zurückziehen? 20,8 Prozent der Stimmen sind 20,8 Prozent und mehr der Verbraucherinnen und Verbraucher. Und dennoch: Wer Neutralität wie ein Feigenblatt vor sich aufspannt, um eine klare Positionierung zu vermeiden, riskiert Reputation und Glaubwürdigkeit. Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen eine politik-adaptive Haltung von Konzernen haben kann, sieht man derzeit bei einem Blick über den Atlantik.
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Kirstin Karotki
Head of Public Affairs Germany
